Artenschutz wird immer wieder als Argument vorgebracht, um den Bau von Windenergieanlagen zu verhindern. Ein Wechsel zum neuen Artenschutzgesetz kann auch bereits laufenden Genehmigungsverfahren neuen Schwung verleihen. Franz-Josef Tigges, Fachanwalt für Verwaltungsrecht erklärt, worauf künftig zu achten ist.

Positive Auswirkungen der neuen Zuständigkeit vom OVG
Dass nunmehr Windräder selbst im „Himmelreich“ (so lautet in der Tat die Flurbezeichnung) gebaut werden können, hat der 22. Senat des OVG NRW mit einem sehr bemerkenswerten Urteil vom 29.11.2022 – 22 A 1184/18 – festgestellt, – im Übrigen wenige Monate, nachdem die Zuständigkeit für Windenergiesachen vom offensichtlich völlig überlasteten 8. Senat auf ihn übergegangen war. Der Ausgang ist erfreulich. Die Verzögerungen des Verfahrens indes leider exemplarisch. Der NABU hatte gegen den elf Windenergieanlagen umfassenden Genehmigungsbescheid bereits Anfang 2016 vor dem Verwaltungsgericht Klage erhoben. Die bereits begonnenen Bauarbeiten (bis hin zu bereits ganz oder vollständig fertiggestellten Anlagen) wurden im weiteren Verfahren aus artenschutzrechtlichen Gründen vom Verwaltungsgericht und anschließend vom 8. Senat des OVG gestoppt. Das Verwaltungsgericht bestätigte im Hauptsacheverfahren Anfang 2018 seine negative Haltung gegenüber dem Projekt. Seitdem lag die Entscheidung beim 8. Senat des OVG in der Berufung. Trotz zahlreicher und sehr weitgehender Nachbesserungen des Genehmigungsbescheides erfolgte aber während der – überlangen – Dauer des Hauptsacheverfahrens keine vorläufige Baufreigabe.

Der 22. Senat hob die Entscheidung des VG auf und wies die Klage des NABU erfreulicherweise komplett ab, wobei auf Antrag des Vorhabenträgers bereits das neue Artenschutzrecht des § 45b BNatSchG Anwendung fand.

Ein Wechsel ist auch noch im gerichtlichen Verfahren möglich
Das OVG stellt klar, dass ein Wechsel zum neuen Artenschutzrecht selbst dann noch möglich ist, wenn er erst im gerichtlichen Verfahren erfolgt. Vor dem Hintergrund, dass so manche UNB das neue Artenschutzrecht eher skeptisch bis ablehnend betrachtet und von einem Wechsel abrät und für den Fall eines Wechsels allerlei Auslegungsschwierigkeiten auf den Antragsteller zukommen sieht, eine sehr begrüßenswerte Klarstellung.

Auch die weiteren Leitsätze der OVG-Entscheidung lassen aufhorchen. Sie weisen den Weg für die künftige Anwendung des neuen Artenschutzrechts. Sie erklären sich von selbst und verdienen es wegen ihrer Bedeutung, wörtlich wiedergegeben zu werden:

„2. Nach § 45b Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG und dem dort vorausgesetzten Abstand zum Brutplatz genügt zur Herabsetzung des Tötungsrisikos für den Rotmilan unter die Signifikanzschwelle in der Regel bereits eine der dort aufgeführten Schutzmaßnahmen. Dabei kann es sich auch um eine Abschaltung bei landwirtschaftlichen Ereignissen handeln, die nicht derjenigen nach Abschnitt 2 der Anlage 1 zu § 45b Abs. 1 bis 5 BNatSchG entspricht, aber fachlich anerkannt und gleichwertig ist.
3. Es ist nicht zu beanstanden, dass weder der Mäusebussard noch die Feldlerche in Abschnitt 1 der Anlage 1 zu § 45b Abs. 1 bis 5 BNatSchG als kollisionsgefährdete Brutvogelart aufgeführt sind. Diese gesetzliche Einschätzung ist vielmehr jedenfalls naturschutzfachlich vertretbar.
4. Die Beurteilung der Störempfindlichkeit der Wachtel gegenüber Windenergieanlagen richtet sich nicht nach Abschnitt 1 der Anlage 1 zu § 45b Abs. 1 bis 5 BNatSchG, weil dessen Anwendungsbereich insoweit nicht eröffnet ist. Auch für diese Art ist aber die Annahme einer fehlenden Windenergieempfindlichkeit jedenfalls naturschutzfachlich vertretbar.
5. Für den Mornellregenpfeifer kann je nach den konkreten Umständen naturschutzfachlich vertretbar von einer Meidedistanz gegenüber Windenergieanlagen von 500 m ausgegangen werden.
6. Im Rahmen der Prüfung der Verfüg- und Erreichbarkeit von alternativen Rastflächen des Mornellregenpfeifers „im räumlichen Zusammenhang“ gemäß § 44 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 BNatSchG ist auch dessen spezifisches Verhalten beim Anflug auf einen Rastplatz in den Blick zu nehmen.
7. Dass nach dem Ausnahmegrund des § 45 Abs. 7 Satz 1 i. V. m. § 45b Abs. 8 Nr. 1 BNatSchG der Betrieb von Windenergieanlagen der öffentlichen Sicherheit dient, begegnet angesichts der aktuell besonders gefährdeten Sicherung der Energieversorgung auch in unionsrechtlicher Hinsicht keinen durchgreifenden Bedenken.
8. Für die Prüfung nach § 45 Abs. 7 Satz 2 i. V. m. § 45b Abs. 8 Nr. 3 BNatSchG, ob innerhalb eines Radius von 20 Kilometern um das Vorhaben zumutbare Alternativen nicht gegeben sind, ist aufgrund der zwangsläufig vorhandenen, im Tatsächlichen liegenden Schwierigkeiten allein der Maßstab der Plausibilität anzulegen.“